Frau Jenny Treibel

Frau Jenny Treibel
Frau Jenny Treibel

"Frau Jenny Treibel", Theodor Fontane, 2011, Insel Verlag Berlin

 

Theodor Fontanes heiterer Gesellschaftsroman um die Kommerzienrätin Jenny Treibel ist ein unterhaltsames Sittengemälde aus dem Berlin der Gründerzeit. Fontane zeichnet mit leichter Hand eine Reihe von Charakteren aus dem wohlhabenden Bürgerstand und karikiert dabei milde deren ausgeprägten Hang zum Äußerlichen und rein Materiellen. So ist zum Beispiel seine Protagonistin Jenny Treibel Tochter eines einfachen Händlers, hat sich aber durch Heirat mit einem Industriellen zur wohlhabenden Kommerzienrätin „hochgearbeitet“. Darüber ist sie außerordentlich zufrieden, obwohl sie ständig betont, dass sie eigentlich „poetisch“ ist. Ihr Materialismus war Grund dafür, dass sie als junges Mädchen ihren Verehrer, Professor Schmidt, verschmäht hat. Dies hat aber der Freundschaft der beiden keinen Abbruch getan, ja die beiden Familien sind Jahre später immer noch gut miteinander befreundet. So kommt es, dass Professor Schmidts Tochter Corinna es sich aus einer Laune heraus in den Kopf setzt, den jüngsten Sohn von Frau Treibel, Leopold, zu heiraten. Jenny Treibel versucht angestrengt, dies zu verhindern, da sie der jungen Frau die schlechtesten Absichten unterstellt, vor welchen sie ihren verwöhnten Sprössling bewahren möchte.

 

Theodor Fontane hat aus diesen kleinen und alltäglichen Ereignissen im Leben einfacher Menschen eine amüsante Erzählung erschaffen. Seine Kunst liegt darin, aus unspektakulären Kleinigkeiten das Besondere heraus zu arbeiten und darzustellen. In seinem Roman geht es nicht um große und aufregende Geschehnisse. Es passiert relativ wenig, sondern die Gedanken der Personen stehen im Vordergrund, die in vielen Gesprächen zum Ausdruck gebracht werden. So hat zum Beispiel der zerstreute Professor Schmidt Gelegenheit, ausführlich über sein Lieblingsthema, die Archäologie, zu sprechen. Der humorvolle und gutherzige Kommerzienrat Treibel kommt ebenso zu Wort wie sein jüngster Sohn Leopold, dem es etwas am Biss fehlt. Und nicht zuletzt die herzerfrischende Haushälterin Schmolke darf ihre Philosophie zum besten geben, die von großer Lebenserfahrung und gesundem Menschenverstand geprägt ist. Nicht aufregende Handlung, sondern Gedanken und zwischenmenschliche Gefühle sind es, die in diesem Buch im Mittelpunkt stehen. Dem Menschenkenner Theodor Fontane gelingt es, die Schwächen seiner handelnden Personen auf ebenso amüsante wie sympathische Weise zu entlarven, was den Reiz der Erzählung ausmacht. Interessant ist es, zu erfahren, wie die Menschen in der damaligen Zeit gelebt und gedacht haben. Für Frauen stand ganz offensichtlich der Aspekt der materiellen Versorgung im Vordergrund. Bemerkenswert ist, wie bescheiden die Menschen in ihrer Freizeitgestaltung waren: Eine Abendgesellschaft, ein mit Lesen verbrachter Sonntag-Nachmittag oder eine Landpartie am See stellte sie vollkommen zufrieden. Die heutige Gesellschaft ist anspruchsvoller geworden.

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